PROJEKTBERICHT

Schutz und Erhalt von Habitatbäumen – die Uralteichen im Markwasenwald Reutlingen

Das Waldgebiet am Reutlinger Markwasen beheimatet mit seinen bis zu 380-jährigen Linden und Eichen einen einzigartigen Lebensraum und ist seit 1999 Naturdenkmal.

Installation von Baum-Baum-Verseilungen, Einbau 02/2025

Untersuchungsgebiet: Markwasen Stadt Reutlingen, Biosphärengebiet Schwäbische Alb
Auftraggeber: STADT REUTLINGEN, Amt für Tiefbau, Grünflächen und Umwelt 2025
Auftragsgegenstand: Installation von Baum-Baum-Verseilungen, Habitatbaum Nr. 469 und Nr. 472

Der Markwasen liegt im Biosphärengebiet Schwäbische Alb auf der Gemarkung Stadt Reutlingen. Das Waldgebiet beheimatet mit seinen bis zu 380-jährigen Linden und Eichen einen einzigartigen Lebensraum für zahlreiche Tierarten, insbesondere streng geschützter Holzkäferarten. Die Alt- und Uraltbäume weisen zahlreiche artenschutzrelevanten Mikro- und Makrohabitatstrukturen¹ auf. Für Besucher und Erholungssuchende bietet er als stadtnahes Erholungsgebiet zahlreiche Wander- und Spaziermöglichkeiten am Fuße der Alb².

Ein flächendeckendes Naturdenkmal

seit 1999

Die Ökosystemleistungen des seit 1999 ausgewiesenen flächenhaften Naturdenkmal „Eichenhain und Linden (Wildgehege im Markwasen)“ sind vielfältig³. An diesen schützend- und erhaltungswerten Waldbereich grenzt das Wohngebiet von Reutlingen unmittelbar an. Zahlreiche Wanderparkplätze und Fußwege ermöglichen einen Zugang zum Markwasenwald.

Die Besonderheit liegt auch an der Altersstruktur der Alt- und Uralteichen. Auf die Biodiversität bezogen, sind Bäume Nahrungsquelle, Versteck, Ruhe-, Nist- und Fortpflanzungsstätte für Insekten, Vögel- und Säugetiere. Je älter ein Baum wird, umso mehr Strukturen und Habitatmöglichkeiten entstehen durch die Wuchs- und Absterbeprozesse im Baum.

Schlüsselrolle im Ökosystem

Alten Bäumen kommt daher insbesondere, wie hier im gegenständlichen flächenhaften Naturdenkmal eine Schlüsselrolle im lokalen Ökosystem zu.

 

Der Artenschutz nach dem Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) und die Verkehrssicherheit nach dem Bürgerlichem Gesetzbuch (BGB) sind bei der Baumpflege gleichermaßen zu berücksichtigen. 

 

Lebensstätten von Vögeln und anderen Tieren können betroffen sein und stehen oftmals im Konflikt mit den Beseitigungsmaßnahmen dieser Mikro- und Makrohabitate4 im Zuge der Verkehrssicherung.

 

Oftmals werden nur die Schadsymptome für die Herstellung der Verkehrssicherheit bestimmt und durch Sicherungsmaßnahmen versucht, diese zu beheben. Jedoch ist das nur ein Aspekt unter vielen. 

Ein neuer Ansatz bietet die artenschutzbezogene Baumkontrolle im Rahmen der Verkehrsüberwachung.

 

Eine artenschutzrechtliche Baumkontrolle betrachtet die Aspekte des Artenschutzes gleichwertig wie die Aspekte der Verkehrssicherungspflicht. Sind beispielsweise durch eine große Baumhöhlung an einem Altbaum artenschutz- und verkehrsrechtliche Schutzgüter betroffen, so ist eine Entscheidung zu treffen, die beiden gerecht wird. Bei Verkehrssicherungsmaßnahmen ist die Höhere Naturschutzbehörde mit einzubeziehen.

 

Neue technische Lösungen bei der Umsetzung von Sicherungsarbeiten an den betroffenen Bäumen soll unnötige Baumfällungen und Sicherheitsschnitte bzw. das Entfernen von Totholzhabitaten verhindern5.

Der Artenschutz nach dem Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) und die Verkehrssicherheit nach dem Bürgerlichem Um den Artenschutz bei den hier gegenständliche Alt- und Uraltbäumen nach § 39 und insbesondere § 44 Abs. 1, Ziffer 3 BNatSchG Folge zu leisten, müssen die Ziele des Naturschutzes berücksichtigt werden (§ 2, Ziffer 1 und 2, BW NatSchG).

 

Arten-, Habitatschutz und Verkehrssicherheit stehen als zentrale Bestandteile im Unterhalt, hier der Gefahrenabwendung bzw. des hier zugrundeliegenden Schutzzweck im Naturschutzgebiet Eichenhain nicht in Konkurrenz, sondern können durch ein artenschutzbezogenes Baummanagement (artenschutzbezogene Baumkontrolle und Überwachung) den Schutz der biologischen Vielfalt, der Leitungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes und von Natur und Landschaft gewährleisten.

 

Die Baumkontrolleure sollten Weiterbildungen etwa im Bereich Kronensicherung, neue Schnitttechniken und Baumstatik wahrnehmen, um den Baum und darin vorkommende Lebensraumstrukturen erhalten zu können6, 7, 8.

Viele artenschutzrechtlich relevante Strukturen sind in den FLL-Baumkontrollrichtlinien9 (2020) bereits gelistet (z.B. Totholz, lose Rinde, Höhlung, Fäule, Einmorschung, Risse, Unglücksbalken, Pilzfruchtkörper, etc.) und müssen als struktur- und habitatfördernde Merkmale des Baumes10 zum Erhalt des Artenschutzes in die Bewertung einfließen11.

 

Die Umsetzung eines artenschutzrechtlichen Baummanagements12, einhergehend mit der Gefahrenabwendung für den Publikumsverkehr wird hier im flächenhaften Naturdenkmal Wasenwald, als Teil des Biosphärengebiets Schwäbische Alb, berücksichtigt.

Heike Jacob, Stellvertretende Fachgebietsleiterin
Natur-, Arten- und Bodenschutz
Stadt Reutlingen, Amt für Tiefbau, Grünflächen und Umwelt

Wir möchten die durchgeführten Maßnahmen übrigens noch an anderer Stelle der Öffentlichkeit präsentieren. Die Stadt Reutlingen ist Mitgliedskommune des Bündnisses „Kommunen für biologische Vielfalt e.V.“ (Kommbio). Bei der diesjährigen Kommbio-Jahreshauptversammlung wurde die App „NATURgewinnt – Best Practice vor Ort per Klick“. Als Mitgliedskommune können wir dort Maßnahmen einreichen.

Die an den Habitatbäumen im Reutlinger Wasenwald durchgeführten Sicherungsmaßnahmen sind aus unserer Sicht ein sehr geeignetes Best Practice Beispiel. Wir werden daher nachfragen, ob diese Maßnahmen in die App aufgenommen werden können.

 An der Stelle nochmals ein ganz herzliches Dankeschön für die sehr gute Zusammenarbeit!

1 BÜTLER, R.; LACHAT, T., KRAUS, D., LARRIEU, L., (2020). Taschenführer der Baummikrohabitate. Beschreibung und Schwellenwerte für Feldaufnahmen. Birnsdorf, Eidg. Forschungsanstalt WSL. 59 S.

 

2 SCHENCK, F., A. Pflege- und Nutzungskonzeption für den Bereich des Wildgeheges und seiner Umgebung im Reutlinger Markwasen. Pfullingen, 2017, S.42.

 

3 SCHOLZ, T. (2016). Ökosystemleistungen von Stadtbäumen in urban-industriellen Stadtlandschaften. Journal für angewandte Geoinformatik, 2-2016, S. 462-471.

 

4 BÜTLER, R.; LACHAT, T., KRAUS, D., LARRIEU, L., (2020). Habitatbäume kennen, schützen und fördern. Merkbl. Praxis. 64.12 S.

 

5 WEIGELMEIER, S., (2023) Bäume sind Lebensraum: Artenschutz im Baummanagement. 8. Fachtagung der Baumkontrolleure Leitsch Baum-Akademie (2023). Tagungsband Hannover, Patzer Verlag.

 

6 ROLOFF, A. (2023). Baumveteran. Strategien fürs Altwerden. Taspo Baumzeitung 03/2023.S.30-36.

 

7 WEIGELMEIER, S. (2023). Artenschutz & Baumpflege. Seminar Stadt Friedrichshafen, 15. und 16.6.2023.

 

8 FRÖHLICH, H-J. (2005). Revitalisierung von Bäumen. Deutsche Stiftung für Denkmalschutz. Monumente Publikationen. Bonn, 95 S.

 

9 Richtlinien zur Überprüfung der Verkehrssicherheit von Bäumen – Baumkontrollrichtlinien. Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e.V., Ausgabe 2020.

 

10 JOYE, T. 2023. Widerstandsfähigkeit und Kronenrückzug bei Baumveteranen: Wie sind die Symptome zu deuten? Jahrbuch der Baumpflege 2023, 27-Jg. S. 184-193.

 

11 WEIGELMEIER. S., (2020). Artenschutz in der Baumkontrolle. ANLiegen Natur 42/2.

 

12 PIETRUSCHINSKI, M. (2020). Biosphärenreservat Schwäbische Alb – Markwasen Reutlingen, unveröff. Gutachten Stadt Reutlingen.